Altes Blomberger Schützenbataillon

Vom städtischen Organ zum Verein – die Blomberger Schützen im 19.Jahrhundert

Bürgermeister Adolf Böhmer begann seine Schützenfestrede im Jahre 1844 mit folgender Bemerkung: „Als im Jahre 1705 der Schützencompagnie in Blomberg von dem Stadtvorstand ein neues Reglement verliehen wurde, waren die Verhältnisse der Zeit und Menschen anders als heute. Während in jener Zeit die Schützencompagnie zur Abwehr äußerer Feinde und zum Schutz des Landes verwandt wurde, beschränkt sich heute ihr Wirkungskreis auf Beistand der Obrigkeit bei Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.“

Und aus heutiger Sicht kann man sagen, dass sich die Verhältnisse der Zeit in den nun folgenden Jahren weiter veränderten und mit ihnen auch die Schützen. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis auf dem Hintergrund der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft die Ordnungs- und Sicherheitsaufgaben auf in engerem Sinne staatliche Einrichtungen (nämlich die Polizei) übertragen und aus der auf Verpflichtung beruhenden Korporation der Schützen ein Verein der Geselligkeit und Traditionspflege wurde, der rein rechtlich auf der freiwilligen Teilnahme seiner Mitglieder aufbaute. Diese Entwicklung vollzog sich vor allem im 19. Jahrhundert.

Aber zunächst noch einmal zeitlich zurück. Bereits im 30jährigen Krieg (1618 – 1648) hatten auch die Blomberger Schützen erfahren müssen, dass sie gegen stehende Heere und marodierende Söldnertruppen relativ machtlos waren. So mussten sie im November 1633 gegen die Bande des ehemaligen Rittmeisters Graßteufel eine empfindliche Niederlage hinnehmen:

„Mit einer zahlenmäßig großen Bande zog er von Elbrinxen her zum Siekhof. Eine Rinderherde ließ er zunächst links liegen, schickte dann aber sieben Reiter, die sich derselben bemächtigten und sie in Richtung Schieder wegtrieben. Glücklicherweise arbeiteten auf den Feldern mehrere Pflüger mit ihren Schutzwachen, die den Rinderhirten zu Hilfe kamen und die Räuber in die Flucht schlugen. Graßteufel war inzwischen weiter geritten und hatte bei Borkhausen die Blomberger Stadtweiden entdeckt. Dort gab es noch Rinder und Kühe genug. Er brach alle Kämpe auf, trieb das gesamte Vieh hinaus und nahm auf einem Wege auch das Borkhauser Vieh mit. Als in Blomberg die Sturmglocken läuteten, griffen die Bürgerschützen zu den Waffen und nahmen die Verfolgung der Bande auf. Graßteufel trieb das Vieh am Nessenberg vorbei und zog bei der Fischwehr durch die Emmer ins Steinheimer Holz. Von dort aus schickte er Räuber nach Wöbbel. Sie überfielen das Rittergut, schlugen alles kurz und klein und nahmen mit, was ihnen wertvoll erschien. Andere spannten auf den Feldern den pflügenden Bauern die Pferde aus. Graßteufel kam unangefochten bis Eversen und Thienhausen. Dort aber waren die Blomberger und Beller und noch etliche aus anderen Dörfern zur Stelle. Die Verfolger wären eigentlich stark genug gewesen, um Graßteufel ein für allemal das Handwerk zu legen, doch das Unternehmen verlief kläglich. Auf ein Zeichen Grafiteufels wendete die Bande und ging zum Gegenangriff über. Die Blomberger und ihre Mitstreiter waren dadurch so überrascht, dass sie nach kurzer Gegenwehr die Flucht ergriffen. Mehrere Bürger wurden niedergeschossen… Andere wurden gefangengenommen. Für 1.200 Taler Lösegeld mussten die Gefangenen freigekauft werden.“ (Drefenstedt, Volkmar: Der Dreißigjährige Krieg im Amt Blomberg, 1999, S. 11)

Und auch drei Jahre später waren die Schützen nicht in der Lage, einen Überfall auf die Stadt zu vereiteln. „In der Nacht vom 5. zum 6. August 1636 unternahmen die Kaiserlichen aus dem Raum Steinheim einen Überfall auf Blomberg. Zunächst zogen sie nach Wellentrup und stahlen auf Stiewen Hof zwei lange Leitern. Mit Hilfe dieser Leitern stiegen sie im Dunkel der Nacht über die Blomberger Stadtmauer: Sie schlichen durch die Stadt zur Niedernpforte (Niederntor), öffneten sie und ließen ihre Kameraden ein. Danach überfielen die Räuber die Stadtwache in Amtmann Schlüters Haus. Bei diesem Überfall wurden auch einige Frauen ermordet. Das Ziel der Bande waren die Pferde der Stadt. Die Dorfbewohner aus dem Amt Blomberg glaubten sie hinter den Stadtmauern in Sicherheit. Die Soldaten raubten insgesamt 223 Pferde, über 100 Kühe und mehr als 500 Schafe.“ (Drefenstedt, S. 12)

Diese Misserfolge hatten ihre Ursache wohl nicht so sehr in der Unfähigkeit der Blomberger Schützen, in ihr zeigte sich vielmehr die generelle militärische Unterlegenheit von ‚Schützen im Nebenberuf‘ gegenüber ‚Berufssoldaten‘. Der lippische Landesherr bemühte sich, dieser Entwicklung durch die Aufstellung eines eigenen stehenden Heeres zu begegnen. Im Jahre 1703 forderte er die Städte auf, ihm anstelle der Abordnung von städtischen Schützen ein 100 Mann starkes stehendes ‚Heer‘ zu finanzieren. Das lehnten die Städte jedoch rundherum ab, da sie meinten, dass 400 städtische Schützen wohl mehr ausrichten könnten als 100 junge Rohr-Burschen. Und sie betonten, die Bürgerschützen würden gerade mal ein Viertel soviel kosten wie die angeworbene Mannschaft. Außerdem glaubten die Städte nicht, dass sich die städtischen Schützengesellschaften abschaffen ließen, wodurch für die Städte dann doppelte Kosten entstehen würden. Der Landesherr ließ sich dadurch aber nicht beeindrucken und finanzierte letztendlich durch das allgemeine Steueraufkommen das kleine lippische Bataillon. Militärisch sind die Blomberger Schützen seither nicht mehr zum Einsatz gekommen.

Als im Zuge der napoleonischen Eroberungen und der sich daran anschließenden Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben regulären Truppen im Jahre 1814 in Lippe auch eine Landwehr aufgestellt wurde, hätte das beinahe das Ende der Blomberger Schützen bedeutet. Alle 25 bis 40jährigen, welche die hinlängliche Körperkraft haben und nicht völlig dienstunfähig sind, wurden zum Landsturm berufen Als Aufgabe des Landsturmes wurden die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Festnahme von Straftätern, der Transport von Gefangenen und der Schutz der obrigkeitlichen Personen bestimmt – mithin genau jene ‚amtlichen‘ Aufgaben, die bisher von den Schützen wahrgenommen wurden.

Die Ausrüstung der Landsturmmänner mit Uniform und Piken hatte durch diese selbst und durch die jeweilige Gemeinde zu erfolgen. Im Juli 1815 wandten sich der Blomberger Feldhauptmann Piderit und der Feldwebel Ramm an den Magistrat der Stadt Blomberg und bemerkten, dass die Aufbringung der Kosten, „dem Landstürmer, der ohnehin Last, Mühe und Versäumnis davon zu tragen hat, … zu schwer fällt.“ Sie ersuchten, den Magistrat „um gütige Unterstützung zur Bestreitung dieser und noch mehrerer bevorstehender notwendiger Ausgaben aus der Stadt-Cassa oder um gefällige Anweisung auf die Revenuen (Einkünfte) der Schützencompagnie, da sich diese nun wohl von selbst aufheben wird, indem den Landstürmern alle die Pflichten, die jenen sonst oblagen, jetzt aufgetragen sind.“ Und ein Jahr später schrieben Piderit und Ramm: „Durch die Errichtung des Landsturmes ist die sonst hier bestehende Schützencompagnie, wenn auch nicht gleich positiv, doch negativ aufgelöst, oder wenn man will, sie besteht nur noch in weiterem Sinn. Jeder Einwohner ist dem Staat jetzt das schuldig, was man sonst von einem Schützenbürger verlangte.“ In ihrer umständlichen aber zeitgemäßen Sprache hatten Piderit und Ramm beschrieben, was faktisch geschehen war: Der Landsturm hatte die Aufgaben der Schützen übernommen. Im April 1818 forderten dann die Offiziere der Blomberger Schützen den Magistrat zu einer Entscheidung auf:

„Es scheint nach Errichtung des Landsturmes nötig, über das Schicksal der Schützengesellschaft etwas zu bestimmen. Weil darauf die unveränderte städtische Verfassung mit beruht, weil dieselbe einen besonderen Fond hat und neben dem Landsturm zur Handhabung der Ordnung fortbestehen kann, so wären die Schützen nach unvorgreiflicher Meinung nicht aufzuheben. In diesem Falle möchte es nicht unpassend sein, daß Pfingsten ein Schützenschießen stattfinden und dann die Rechnungen abgenommen werden. Sollten hingegen die Schützen künftig aufhören müssen, dann ist dies ebenfalls zu beraten und in Ansehung des Fonds ein Beschluß zu fassen. Wohllöblicher Magistrat wolle daher das nötige in dieser Sache geneigtest einleiten.“

Der Rat der Stadt Blomberg wollte die alte Schützenvereinigung aber nicht so weiteres auflösen und entschied, „die Schützencompagnie bis auf anderweitige höhere Verfügung zwar noch, jedoch ohne Ausmarsch zum Scheibenschießen bestehen zu lassen, den vorhandenen Überschuß in ihrer Rechnung aber zu dem vom Landsturm zu bezahlenden Ausgaben an diesen zu überweisen.“ Dieser Entschluss zur zumindest formalen Aufrechterhaltung der Blomberger Schützencompagnie ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Schützenoffiziere Ramm und Pantze als Beisitzer und Lohnherr selbst im Magistrat vertreten waren.

Nach Beendigung der Napoleonischen Kriege schlief der Landsturm langsam wieder ein und die Blomberger Schützen traten mit der Frage an den Magistrat heran, ob es nicht sinnvoll sei, „die Schützencompagnie, welche durch Tod und Altersschwäche mehrere Abgänge erlitten hat, neu complettiert zu sehen und künftig wieder die Wachen usw. durch dieselben statt den Landsturm verrichten zu lassen.“ Der Magistrat stimmte dem zu, ernannte neue Offiziere und Rottmeister, erlaubte einen Ausmarsch und bewilligte dazu 15 Taler.

Die Blomberger Schützen fanden zunächst aber nicht zur Regelmäßigkeit ihrer Feste zurück. In den Jahren 1805 bis 1853 gab es nur 9 Schützenfeste. Allerdings stieg die Zahl der teilnehmenden Schützen in diesem Zeitraum beträchtlich. Die Aufnahme von 30, 40 und bis zu 60 neuen Schützen pro Ausmarsch waren die Regel. Offensichtlich hatte die mit dem Landsturm verbundene Idee des Volksheeres auch bei den Blomberger Schützen Wirkung gezeigt. Im Jahre 1853 bestand das Bataillon aus 9 Röttern mit jeweils 18 Schützen zuzüglich 14 Rottmeistern und Offizieren. Das ergibt eine Gesamtstärke von 166 Schützen.

Ein zweites Mal wäre die Blomberger Schützencompagnie beinahe im Verlauf der 1848er Revolution aufgelöst worden. Auf dem Hintergrund demokratischer Bewegungen in den 1840er Jahren (‚Vormärz‘) und der Französischen Februarrevolution des Jahres 1848 strebten auch deutsche Demokraten nach Vereins- und Pressefreiheit, nationaler Einheit und Volkssouveränität. Anfang März 1848 werden in lippischen Dörfern Forderungen nach niedrigeren Pachten und Mieten sowie für höhere Löhne laut. In den Städten bilden sich Volksvereine, die – wie etwa in Blomberg – die Öffentlichkeit der Magistrats- und Stadtverordnetensitzungen fordern. Fünf Tage nachdem von Arbeitsleuten auf dem Palais in Detmold eine rote Fahne gehisst wurde, ordnete die Regierung die Aufstellung von Bürgerwehren an, die für Ruhe und Ordnung, das heißt für die Unterdrückung von radikaldemokratischen Bestrebungen sorgen sollten. Vielleicht auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Landsturm des Jahres 1814 vereinbarten die Blomberger Schützenoffiziere und Rottmeister mit dem Magistrat, „daß bis auf weitere Bestimmung jedem Abend eine Schützenpatrouille von 4 Mann die Ruhe und Ordnung in hiesiger Stadt aufrecht zu erhalten hat“ und „falls sich wider Erwarten die plötzliche Hilfe der Schützen nötig (machen sollte), mit der Trommel das Alarmzeichen zu geben ist, auf welches Signal sich sämtliche Schützen schleunigst auf hiesigem Marktplatz zu versammeln haben.“ Demokratische Elemente der 48er Bewegung aufnehmend wurde in dieser Vereinbarung bestimmt, dass Rottmeister und Offiziere nun von den Schützen selbst gewählt werden sollten.

Nachdem auf Anordnung der Lippischen Regierung ein Verzeichnis aller wehrpflichtigen Männer in Blomberg (insgesamt 288) erstellt war, schritt der Magistrat dann aber doch zur Aufstellung einer Bürgerwehr mit 20 Kameradschaften a 15 Mann. Und der gewählte Führer der Bürgerwehr, Alexander Hornhard, sah darin nicht eine Fortführung der Schützencompagnie, sondern eine eigenständige Truppe, die an die Stelle der Schützencompagnie trat. Er schrieb an den Magistrat: „Da wir nach den Gesetzen der Wehrmannschaft die Verpflichtungen der früheren Schützen übernommen haben, so finden wir uns veranlaßt, wohllöblichen Magistrat ganz gehorsamst zu ersuchen, uns die denselben zugehörigen Realien (den Grundbesitz) und Utensilien (die Gegenstände) zu übertragen.“ Der Magistrat bestätigte zwar, dass es zweckmäßig sei, „daß die bisher von der Schützencompagnie besorgten Wachdienste und Patrouillen nunmehr von der hiesigen Bürgerwehr übernommen werden“, er lehnte es aber ab, den Grundbesitz zu übertragen. „weil die durch die Wehrmannschaft veranlaßten Kosten aus der Staatscasse getragen würden und es nicht angemessen erscheine, die Wehrmannschaft mit Liegenschaften auszustatten.“ Allerdings stellte der Magistrat fest: „Wegen Abschaffung der Schützencompagnie und über deren Liegenschaften bleibt ein künftiger Beschluß vorbehalten.“

Nachdem sich die bürgerliche 48er Revolution in ihren zentralen Forderungen nicht hatte durchsetzen können, kehrte man auch in Lippe im Wesentlichen zu den vorrevolutionären Strukturen zurück. Und auch die Blomberger Schützen meldeten sich wieder mit der Bitte um Bestätigung neuer Offiziere und der Erlaubnis eines Ausmarsches zurück. Der Magistrat erhielt auf Anfrage von der Lippischen Regierung den Bescheid, „daß die Schützencompagnie, wie sie früher in Blomberg bestanden hat, von neuem organisiert und daß ihr die Wahl der Offiziere und die Abhaltung von Schützenfesten gestatt werde.“

In den im Jahre 1852 verabschiedeten neuen Statuten bleiben die Blomberger Schützen in den wesentlichen Punkten bei den Bestimmungen voriger Jahrhunderte: Als Aufgabe wird die Handhabung der Sicherheit genannt. Jeder Bürger ist zum Schützendienst verpflichtet, Rottmeister und Offiziere werden vom Magistrat ernannt und die Schützen sind ihren Vorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet. Die Compagnie sollte aus 8 Röttern a 12 – 18 Mann bestehen.

Im Jahr darauf verdeutlichte die Lippische Regierung jedoch, daß sie eine solche strikte Rückkehr zu den vorrevolutionären Verhältnissen nicht gemeint hatte. Der Blomberger Bürger Carl Holste hatte bei einem Ausmarsch der Schützen unentschuldigt gefehlt und war dafür von der Schützencompagnie mit einer Geldstrafe belegt werden. Damit war dieser jedoch keinesfalls einverstanden und beschwerte sich bei der Regierung. Diese gab der Schützencompagnie im konkreten Fall Recht, stellte Holste aber anheim, „aus der Schützencompagnie auszutreten und davon dem Capitain und dem entsprechenden Rottmeister Anzeige zu erstatten.“ Dem Magistrat teilte die Regierung gleichsam nebenbei mit, „daß, da die Schützencompagnie nicht als ein Institut zur Handhabung der öffentlichen Sicherheit, sondern lediglich als ein solches betrachtet werden kann, welches die Beförderung des geselligen Vergnügens bezweckt, ein Zwang zur Teilnahme an demselben nicht stattfindet. Sowenig jemand daher gegen seinen Willen gezwungen werden kann, sich in die Compagnie aufnehmen zu lassen, ebenso muß es jedem Schützen freistehen, nach Belieben auszutreten.“ Das bedeutete nichts geringeres, als das die Regierung nun in den Schützenvereinigungen Vereine zur Geselligkeitspflege sah, deren Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruhen sollte. Damit wäre der Schritt von der städtischen Korporation zum bürgerlichen Verein getan worden.

Das traf den Blomberger Magistrat offenbar völlig unvorbereitet. Er schrieb an die Regierung zurück, die „Erfüllung ihrer (der Schützencompagnie) Bestimmung ist unmöglich, wenn es jedem Bürger freisteht, nach Belieben sich dem Schützendienst zu entziehen… .Die Compagnie wird all ihren Halt verlieren, jede Spur von Disziplin und Autorität der Vorgesetzten maß verschwinden, wenn der Widerspenstige mit seinem Austritt zu trotzen berechtigt sein soll. … Hochfürstliche Regierung kann unmöglich den Ruin der hiesigen Schützencompagnie wollen.“ Der Blomberger Magistrat bat um die Bestätigung der alten Statuten.

Die Regierung war aber weder dazu bereit, noch beabsichtigte sie den Ruin der Schützencompagnie. Sie war schlichtweg der Auffassung, dass es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung „andere, geeignetere und wirksamere Mittel gibt.“ Sie meinte damit sicherlich die inzwischen ins Leben gerufene staatliche Polizei. Die Regierung sah in der Betreuung der Schützen mit polizeilichen Aufgaben „nichts als eine Phrase und kann dem ganzen Institute keine ernste Bedeutung beilegen“. Zudem sei es reine Willkür, wenn „es dem beliebigen Ermessen der vom Magistrat angestellten Offiziere überlassen ist, den einen Bürger zur Schützencompagnie heranzuziehen, den anderen (aber) davon auszuschließen. … Entweder muß jeder Bürger, der die erforderliche Qualifikation besitzt, zum Eintritt verpflichtet sein, oder es muß der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen bleiben, ob er sich am öffentlichen Vergnügen beteiligen und sich zu Dienstleistungen gebrauchen lassen will, wozu nicht allen Bürgern eine gleichmäßige Verpflichtung obliegt.“

Der Blomberger Magistrat erhielt somit gleichsam eine Extralektion in Sachen sich entwickelnder bürgerlicher Gesellschaft mit einer Stärkung der Rechte des Einzelnen und in Sachen veränderter Polizeigewalt. Wir sehen hier die Blomberger Schützen am Übergang von einer ‚halbstaatlichen‘ Institution hin zum Verein als Zusammenschluss von Menschen auf freiwilliger Basis. Dass die Blomberger Schützen diese Entwicklung zunächst nicht erkennen wollten und auch im Statut von 1890 noch betonen, „nötigenfalls zur Handhabung der öffentlichen Sicherheit dienen“ zu wollen, zeugt wohl von einem gewissen Beharrungssinn, ändert aber nichts daran, dass dieser Passus angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse faktisch keine Bedeutung mehr hatte. Erst in den Statuten des Jahres 1909 wurde als alleiniger Zweck der Schützen festgelegt, „durch gemeinsame Ausmärsche oder Feste das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Bürger Blombergs untereinander zu befestigen und zu kräftigen.“

Bis zum Jahre 1891 fanden die Schützenfeste in Blomberg weiterhin nur in unregelmäßigen Abständen statt, und es konnte durchaus vorkommen, dass es mehrere Jahre dauerte, bis wieder Schützenfest war. In einem Schreiben aus dem Jahre 1872 kann man die Ungeduld erahnen, mit der die Schützen nach vierjähriger ‚Schützenfestabstinenz‘ auf ihr Fest warteten. Eine ganze Anzahl von Schützen hatte sich auf dem Schützenplatz versammelt und forderte den Vorstand zur Abhaltung eines Festes auf: „In der heutigen Versammlung der alten Schützen auf dem Schützenplatz wurde der Beschluß gefasst, nachdem wir in vier Jahren kein Schützenfest gehabt (haben) daß für dieses Jahr ein Schützenfest stattfinden sollte.“ Diesem Wunsch, der mit 54 Unterschriften bekräftigt worden war, wurde vom Schützenvorstand stattgegeben.

Im Jahre 1886 veranstaltete der Schützenvorstand sogar – wie wir heute sagen würden – folgende Meinungsumfrage in der Blomberger Bürgerschaft:

„Geehrte Mitbürger! In der am heutigen Tage abgehaltenen Versammlung der alten Schützen unserer Stadt ist seitens des Vorstandes der Schützencompagnie die Erklärung abgegeben, daß ein Schützenfest in dem Falle stattfinden würde, wenn die Majorität der Bürgerschaft dafür sei. Es ist in der heutigen Versammlung gleichzeitig ein Komitee gewählt, welches hiermit die Schützen auffordert, durch Namensnennung erkennen zu geben, daß sie für Abhaltung des Schützenfestes Meinung haben.“

Innerhalb weniger Tage wurden 161 Unterschriften gesammelt und in den Röttern selbst hatten sich 93 Schützen für ein Schützenfest ausgesprochen. Das war bei damals knapp 700 Blomberger Haushaltungen zwar nicht die Majorität der Blomberger Bürgerschaft, wurde vom Schützenvorstand wohl aber als ‚qualifizierte Minderheit‘ gewertet. Das Schützenfest konnte also stattfinden. Diese Meinungsumfrage und auch die in anderen Jahren durchgeführten Befragungen in den Röttern, „ob man für die Abhaltung des Schützenfestes Meinung habe“, sind Ausdruck der nun auch gewachsenen finanziellen Eigenverantwortung der Schützen und sie weisen darauf hin, dass das Schützenfest nun auch Konkurrenz durch die Feste anderer Vereine hatte. So wurde der Beschluss über die Abhaltung eines Schützenfestes im Jahre 1881 zunächst ausgesetzt, „um zuvor in Erfahrung zu bringen, ob die Schützenbrüder nach Abhaltung der am 1. Juni hier stattfindenden landwirtschaftlichen Ausstellung … (und) den damit zusammenhängenden Vergnügungen das Abhalten eines Schützenfestes noch wünschenswert erscheint.“ Das war offensichtlich nicht der Fall, denn das nächste Schützenfest fand erst im darauffolgenden Jahr statt.

Als die ‚alten‘ und die ‚jungen‘ Schützen im Jahre 1862 ihr Schützenfest feierten, konnten sie mit einer Neuigkeit aufwarten. Es war nämlich beschlossen worden, dass „an diesem Feste nicht wie auf dem Rathaussaale getanzt werden soll, sondern in einem vor dem Schützenplatz zu errichtenden Zelte.“ Die nach der Öffnung der Schützenvereinigung für alle Blomberger Bürger rasch anwachsende Zahl der Schützen hatte zu dieser Entscheidung gedrängt, da der Rathaussaal nun für den Festball viel zu klein war. Nicht ohne Stolz hieß es dann in einer der ersten Zeitungsanzeigen zu einem Blomberger Schützenfest: „Zu dem … Schützenfest der jungen Leute laden wir Freunde derartiger Vergnügen auf diesem Wege freundlichst ein, mit dem Bemerken, daß an beiden Tagen nachmittags in einem vor dem Schützenplatz neu erbauten Zelte, Blomberger Schützenzelt genannt, getanzt wird.“

Die Öffnung der Schützen und des Schützenfestes für die weitere Bevölkerung wurde in bestimmten Kreisen aber bisweilen auch mit Sorge betrachtet. Die Statuten des Jahres 1909 hatten allen „Personen (gemeint waren ‚natürlich‘ nur Männer], die 25 Jahre alt sind und sich im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden“, den Eintritt ins Bataillon erlaubt. Also auch solchen, die nicht das Bürgerrecht der Stadt Blomberg erworben hatten. Daraufhin setzte, wie Oberst Franz Winter berichtet, „eine Bewegung der Bürger dagegen ein, was den Erfolg hatte, daß die Statuten beim letzten Schützenfest außer Kraft gesetzt wurden.“ Und Winter berichtet auch, welche Befürchtung zu diesem Entschluss geführt hatte: „Diese Bestimmung würde auf die Dauer das Ergebnis zeitigen, daß die Sozialdemokratie in den Vorstand käme.“ Diese Vorstellung scheint dem Oberst unerträglich gewesen zu ein. Er führte weiter aus: „Aus dieser Erwägung heraus, denn der Vorstand glaubt es seinen Vorfahren schuldig zu sein, den Bürgern die Freude am Schützenfest nicht nehmen zu wollen, sind neue Statuten ausgearbeitet.“ Diese sahen wiederum vor, dass nur derjenige Schütze werden konnte, der auch das Bürgerrecht besaß. Dieser Versuch, Sozialdemokraten aus dem Vorstand des Schützenvereins fernzuhalten, musste aber letztendlich scheitern, da auch Sozialdemokraten das Bürgerrecht erwerben konnten.

Ab den 1860er Jahren hatte die Stadt Blomberg begonnen, über den alten, spätmittelalterlichen Stadtbereich hinauszuwachsen. Zunächst erfolgte die Bebauung entlang der Neuen Torstraße und in den 1870er Jahren wurde als erste Querverbindung zwischen Neuer Torstraße und Heutorstraße die Gartenstraße bebaut. Im Jahre 1890 traten dann einige Bewohner der Gartenstraße und der Neuen Torstraße an den Vorstand der Schützen heran:

„Es ist bekanntgeworden, daß in diesem Jahr ein Bürger-Schützenfest stattfinden soll. Da nun aber bei derartigen Festlichkeiten die Bewohner der Garten- und Neuen Torstraße abgetrennt sind, so erlauben sich unterzeichnete Schützen, die gehorsamste Bitte an verehrlichen Schützenvorstand zu richten, bei dem bevorstehenden Schützenfest ein Rott nach einer der oben genannten Straßen zu verlegen. Bekanntlich sind die oben genannten Straßen am stärksten bevölkert und wäre es sehr zu wünschen, daß auch bei einem derartigen Volksfeste den Bewohnern der genannten Straßen seitens des Schützenvorstandes diese Bitte erfüllt wird.“

Diesem gehorsamsten Gesuch wurde stattgegeben. Das ‚Gartensträßler-Rott‘ nach dem 2. Weltkrieg ‚Nelkenrott‘ genannt – war somit das erste außerhalb des spätmittelalterlichen Stadtkerns gegründete Rott. Entsprechend dem Fortgang der Stadterweiterung wurden kurz nach der Jahrhundertwende das Schlemperott und in den 1920er und 30er Jahren das Rott Immertreu und das Stuhlrott gegründet.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand das Blomberger Schützenfest zu seiner Regelmäßigkeit. Das Schützenbataillon hatte sich in seiner neuen Verfassung und Aufgabenstellung soweit gefunden und gefestigt, dass nun bis zum Ersten Weltkrieg in dreijährigen Abständen Schützenfeste gefeiert werden konnten.

Die Wende zum 20. Jahrhundert ist auch die Zeit, in der zwei damals wichtige ‚neue Medien‘ die Stadt und auch die Schützen erreichten: Die Fotografie und die lokale Tagespresse. Die Fotos geben nun erste bildliche Eindrücke vom Schützenfest und den agierenden Personen. Die ältesten erhaltenen Schützenfotos stammen aus den Jahren 1896 und 1897. Das ältere Bild zeigt das Offizierscorps der Junggesellenschützen mit dem Schützenkönig, zu erkennen an der Königskette mit dem Schützenvogel. Auf dem Bild ist auch die heute noch bei den Festumzügen mitgeführte Fahne zu sehen, die den Junggesellenschützen in gerade jenem Jahre von den Damen Blombergs – so die Fahnenaufschrift – gestiftet worden war. Das zweitälteste Bild zeigt den Hofstaat und den Vorstand der ‚alten‘ Schützen. Der König, Gastwirt Ernst Albert, trägt in der Mitte sitzend die Königskette mit Schützenvogel. An seiner rechten Seite die Königin Frau Hammerschmidt. Dass die Aufnahme eines solchen Fotos damals durchaus zu einer größeren Unternehmung geraten konnte, zeigt ein im Jahre 1909 von Oberst Winter verschicktes Circular. Es lautet:

„Es ist ein Wunsch unserer geehrten Schützenkönigin (Frau Benze), ein Andenken von dem diesjährigen Feste zu erhalten, daß ein Gruppenbild bestehend aus dem Königspaar, Hofstaat und Vorstandsmitgliedern angefertigt werden soll. Unterzeichneter Vorsitzender erlaubt sich die Herren Kameraden darauf aufmerksam zu machen, daß wir Sonntag den 15. des Monats, nachmittags 2 Uhr vom Kameraden Albert abfahren, von da aus per Wagen zur Königin, woselbst sich auch der Hofstaat begibt. … Gestellt wird ein Omnibus von Kamerad Schwarze und ein Leiterwagen von Kamerad August Brinkmeier. Die Fahrt geht über Schieder nach Rosemeier, woselbst Herr Mesch mit seinem (Foto)Apparat Aufstellung genommen hat. … Die Fahne und 6 Lanzen möchten mitgenommen werden, übrigens in Parade-Anzug.“

Leider ist dieses Foto nicht erhalten. Und auch die Lokalpresse, der dreimal wöchentlich erscheinende Blomberger Anzeiger, berichtete nun ausführlich über das Blomberger Schützenfest. Dass das Fest auch damals schon eine gute Bühne für Spaßvögel war, zeigt eine Geschichte vom Schützenfest des Jahres 1894, die ebenfalls vom Blomberger Anzeiger überliefert ist. „Gestern trat das Bataillon nachmittags auf dem Marktplatz an und brachte die dritte Kompanie wiederum ihren Kranken- und Marketenderwagen und den ‚Oberstabsarzt‘ mit, der ebenfalls, wie am ersten Tage, ungeheure Heiterkeit erregte. Der bekleidet mit schwarzem Anzug, Stulpenstiefeln und Sporen und einem Dreimaster, trug ein rotes Kreuz auf weißer Binde am linken Oberarm und schritt die Kompanien ab, überall sich nach dem Befinden der Leute erkundigend und hin und wieder Heilmittel verordnend und teilte sodann der Marketender die Heilmittel in Gestalt von ‚Klarem‘ an die Kranken aus.“